Heute ... noch heute weiß ich viele Details von jenem Tag.
Die Tage vorher so viele schlimme Nachrichten, Lungenentzündung, Nierenversagen.
Am Samstagabend rief mich Deine Frau an, sie meinte, es ginge Dir besser.
Du warst an die Dialyse angeschlossen worden und Deine Werte wurden dadurch besser.
So viel Hoffnung. Wir waren so froh!
Am nächsten Tag, Sonntag um 9.15 Uhr klingelte bei mir das Telefon.
Ein Arzt aus Murnau meldete sich bei mir.
Er meinte, er würde mich im Auftrag meiner Schwägerin anrufen.
Seine Worte weiß ich noch sehr genau!
"Ihr Bruder hat es geschafft, er ist über den Berg." (Welche Erleichterung)
"Er ist friedlich eingeschlafen."
Ich verstand im ersten Moment gar nichts mehr.
Was hatte er gesagt? Über den Berg? Friedlich eingeschlafen?
Aber über den Berg ... heißt doch ... es geht Dir besser ... ?
Er meinte dann: "Sie müssen es ihrer Mutter sagen, wir müssen die Presse benachrichtigen.
Bevor sie es aus dem Radio erfährt, wäre es besser, sie sagen es ihr".
"Ich? Ich kann doch meiner Mutter nicht sagen, dass ihr Sohn tot ist.
Das kann niemand von mir verlangen. Das ist zu viel ... das schaffe ich nicht."
Ich war nicht im Stande.
Hatte die 12 Tage vorher so viel erlebt, so viel erfahren ...
Ich rief meine Schwester an, ich wollte dass sie das tut.
Sie hat Dich nicht besucht, sie machten Urlaub am Chiemsee.
Ich war nicht im Stande.
Ich ging zum Fenster, konnte nicht verstehen, dass die Autos noch fahren.
Nicht verstehen, dass das Leben weiter geht, wo meines doch im Moment still stand,
irgendwie vorbei schien.
Ich schrie ... ich konnte noch so viel denken, dass die Kinder weg mussten.
Sie waren noch so klein ...
Ich lies sie abholen, war nicht fähig mich um sie zu kümmern.
Ausserdem sollten sie mich nicht "so" sehen.
Schon eine halbe Stunde später wurden sie abgeholt.
Ich rief eine Freundin an, sagte ihr was passiert sei,
ich spürte ihr Entsetzen, ihre Sprachlosigkeit,
sie meinte "Ich weiß jetzt nicht was ich sagen soll ... ".
Ich sagte nur: "Gar nichts, ich bin froh, dass Du am Telefon bist, auch wenn wir nur schweigen.
Du mir beim weinen zuhörst. Nur, dass jemand da ist, sei es auch nur am Telefon."
Manchmal können Worte zu viel sein.
"Das Leben geht weiter." Diesen Spruch mag ich gar nicht, kann mit ihm nichts anfangen.
Ich weiß, dass es weiter geht, aber für mich scheint es in dem Moment still zu stehen.
Vorbei zu sein.
Meine Schwester, sie fuhren wohl sofort los ... eine knappe Stunde später klingelten sie bei mir.
"Wo ist Mama, die sind nicht im Garten." waren ihre Worte.
In dem Moment ... oh weh, die sind bei unserer Tante.
Mein Schwager meinte "jetzt macht nicht mehr rum, ihr müsst es ihr jetzt sagen".
Ich sah meine Schwester an, schüttelte den Kopf ... "ich kann nicht."
Sie rief an, unser Onkel war am Apparat. Der Lautsprecher an meinem Telefon war an.
Aus den Antworten meines Onkels erfuhr meine Mutter was passiert war.
Sie weinte und sagte ständig "Mei Bua ... mei armer Bua."
Ich wollte sie und meinen Vater abholen, wollte nicht,
dass sie in der Situation mit der S-Bahn nach Hause fahren..
So oft war ich diese Strecke schon gefahren.
Ich verfuhr mich mehrere Male. Wie ich dann dort angekommen bin, weiß ich heute nicht mehr.
Im Auto dachte ich "das hast du dir eingebildet, die Worte waren doch klar, er ist über den Berg."
Ich war der festen Überzeugung, dass mich alle für verrückt erklären würden, wenn ich ankomme.
Es war alles so unwirklich. Er war doch vorher nie krank.
Die Gesichter, die Trauer, all das belehrte mich eines Besseren.
Alle waren sprachlos. Man spürte förmlich das Ensetzen über das für uns Unglaubliche.
Es war gerade Mittagszeit.
Nein, an essen war nicht zu denken.
Am Nachmittag trafen wir uns alle bei mir.
Meine Schwägerin kam auch.
Solche Tage ... das Unglück ist kaum begreifbar.
Und doch, man konnte es förmlich im Raum fühlen.
Die Fassungslosigkeit, Ratlosigkeit und den puren Schmerz.
Irgendwann versiegen auch die Tränen.
Ich wollte so gern von Dir Abschied nehmen. Und durfte nicht.
Durfte Dich nicht mal mehr am Krankenbett besuchen.
Du solltest tot sein. Ich konnte es nicht glauben.
Dass mich das mein ganzes Leben lang begleiten sollte,
dieses Gefühl mich nicht von Dir verabschiedet zu haben, das war mir damals nicht bewusst.
Viele Worte die ich Dir noch gern gesagt hätte.
Eine Freundin von mir meinte einmal:
"Du brauchtest ihm nicht sagen, dass Du ihn liebst, Eure Liebe war für jeden spürbar!
Das hat jeder gesehen."
Kürzlich habe ich einen Spruch gehört, so in etwa:
"Den eigenen Tod braucht man nur sterben,
aber mit dem der Anderen muss man leben."
Du bist nicht mehr da ...
und wir, wir müssen ohne Dich weiter leben ...
Noch heute, ich vermisse Dich so sehr!!!
Ja, ich wollte ... ich hätte so gern, es wäre so wichtig gewesen:
"Ich wollte noch Abschied nehmen ... und durfte nicht,
SIE hat uns nicht gelassen ... "
Ich vermisse Dich so sehr ... !!!
Ich werde Dich IMMER vermissen!!!